Soeben erschienen ist die 1. Ausgabe des Jahrgangs 2012 des Journal für Psychologie mit dem Schwerpunkt "Material Girl_Boy: Intersubjektivität und Technik im alltäglichen Leben von Kindern", herausgegeben von Niklas A. Chimirri und Ernst Schraube (beide Roskilde Universität, Dänemark).
Kinder führen ihr alltägliches Leben in einer Welt der Technik: Von Geburt an sind sie umgeben von materiellen Dingen – Kleidung, Spielsachen, Räume, Apparate, elektronische Geräte usw. –, und durch und mit diesen Dingen erkunden sie die Welt. Untrennbar damit verwoben ist die Erkundung der Welt mit und durch Andere: Geschwister, Eltern, FreundInnen, ErzieherInnen, LehrerInnen, fiktionale Figuren usw. kommen den Kindern über die Dinge näher, unterstützen sie in ihren Entdeckungsbestrebungen, erforschen gemeinsam mit ihnen die materielle und technische Welt. In dieser Wechselseitigkeit von Dinglichem und Zwischenmenschlichem zeigt sich die grundlegende sozio-materielle Vermitteltheit des kindlichen Lernens und der menschlichen Entwicklung.
Ein solches Verständnis steht im Widerspruch zum Individualismus und der "Weltlosigkeit" experimentalwissenschaftlich vorgehender, klassischer Psychologie. Vielmehr verlangt es nach Theorien, Konzepten und Methoden, die die "Welthaftigkeit" menschlicher Existenz systematisch denkbar und erforschbar machen. Mensch und Welt können dabei nicht als statische Entitäten betrachtet werden: Das Lernen und die Entwicklung des Menschen in der Welt ist eine Entwicklung menschlicher Beziehungen zur Welt. Die Welt selbst steht dabei ebenfalls nicht still: Sie verändert sich und wird verändert. Entsprechend muss das Verhältnis zwischen Kindern und sozio-materieller Welt als ein wechselseitig sich beeinflussender, dynamischer Prozess aufgefasst werden. Die Beiträge dieses Schwerpunktheftes bauen auf dieser Einsicht auf und argumentieren für eine kontextuelle Kinderforschung und die Entwicklung situierter Erkenntnis; eine Erkenntnis, die versucht, aus dem Subjektiven und Partikulären allgemeine und verallgemeinerbare Einsichten zu gewinnen.
Forschung zum Verhältnis von Kindern und Technik kann vor diesem Hintergrund ihren Ausgangspunkt nur im alltäglichen Leben der Kinder selbst nehmen, in den Erfahrungen, die sie konkret mit Anderen und den materiellen Arrangements machen. Das bedeutet, den Blick auf die Handlungen der Kinder zu richten und darauf, wie diese Handlungen auf die sie umgebenden Menschen sowie materiellen Gegebenheiten gerichtet sind. Um die "Welthaftigkeit" des alltäglichen Lebens der Kinder einbeziehen zu können, bedarf es daher einer Forschung, die Kinder als Handelnde versteht und die sie als aktive Mitglieder und Mitwirkende in ihren sozialen Welten ernst nimmt. Es bedarf der Perspektive der Kinder auf ihre alltägliche Welt, um in Bezug auf Kinder in der Welt etwas aussagen zu können.
Die Beiträge dieses Schwerpunktheftes versuchen eine Kinderforschung zu etablieren, die zu einer sozialen Selbstverständigung über die Möglichkeiten und Grenzen von Alltagstechnologien für die Entwicklung kindlicher Handlungsfähigkeit beitragen kann, und sie unterstreichen die Relevanz sowie die Herausforderungen einer Forschung, die die Perspektive der Kinder auf ihren Alltag wirklich ernst nimmt.
Inhalt
Editorial: Intersubjektivität und Technik mit Kindern erforschen
Ernst Schraube und Niklas A. Chimirri
www.journal-fuer-psychologie.de/index.php/jfp/article/view/111
Kinderperspektiven: Partizipation in gesellschaftlicher Praxis
Charlotte Højholt
www.journal-fuer-psychologie.de/index.php/jfp/article/view/112
Mit Kindergartenkindern Medientechnologien ergründen: Alltägliche Lebensführung und subjektwissenschaftliche Technikforschung
Niklas A. Chimirri
www.journal-fuer-psychologie.de/index.php/jfp/article/view/113
Aesthetic Play: The Meaning of Music Technologies for Children's Development
Jytte Bang
www.journal-fuer-psychologie.de/index.php/jfp/article/view/114
Ethnographische Methoden zur Erforschung der Medienaneignung in Kindertagesstätten
Katrin Hoffmann und Sarah Steiger
www.journal-fuer-psychologie.de/index.php/jfp/article/view/115
How Things Matter in Everyday Lives of Preschool Age Children: Material-Semiotic Investigations in Psychology and Education
Michalis Kontopodis
www.journal-fuer-psychologie.de/index.php/jfp/article/view/116
Das Ich und der Andere in psychologischer Technikforschung
Ernst Schraube
www.journal-fuer-psychologie.de/index.php/jfp/article/view/117
Wie immer sind die Texte in Open Access abrufbar, unter www.journal-fuer-psychologie.de/index.php/jfp
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Journal für Psychologie
ISSN 0942-2285
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Das Journal für Psychologie ist die Zeitschrift der Neuen Gesellschaft für Psychologie (NGfP) und zugleich Forum der ihr nahe stehenden WissenschaftlerInnen und PraktikerInnen. Die NGfP und die Zeitschrift wurden 1991 in Berlin gegründet, um ein sozial-, kultur- und geisteswissenschaftliches Gegengewicht zu jenen Strömungen der Psychologie zu bilden, welche weitgehend an naturwissenschaftlichen Denkmodellen und Forschungsmethoden orientiert sind. Ziel ist es, ein diskursives, kritisches und reflexives Wissenschaftsverständnis der Psychologie weiterzuentwickeln, eine problemgerechte und gesellschaftlich verantwortliche Forschung und Praxis zu unterstützen und eine Erneuerung der geistes-, kultur- und sozialwissenschaftlichen Orientierung der Psychologie zu ermöglichen.
Die Zeitschrift erscheint mindestens dreimal pro Jahr und hat einen Gesamtumfang von etwa 400 Seiten pro Jahrgang.
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