Freitag, 15. Dezember 2017

Offener Brief an die neue Gesellschaft für Psychologie #NGfP #Ideologiekritik



Offener Brief an die Neue Gesellschaft für Psychologie

Die Neue Gesellschaft für Psychologie (NGfP) war lange Zeit eine wichtige Institution nonkonformistischer Psycholog*innen unterschiedlicher fachlicher Ausrichtung. Unter ihrem Dach konnten sich Akademiker*innen wie Praktiker*innen sinnvoll über postmoderne Psychologien, die Berliner Schule der Kritischen Psychologie, psychoanalytische Sozialpsychologie oder politische und feministische Psychologien austauschen, wobei die Jahrestagungen als diverses Diskussionsforum die Vielfalt dieser Richtungen abgebildet haben.

Eine solche Institution war und ist in der deutschsprachigen Psychologielandschaft einmalig und umso betrüblicher ist ihr Weg, den sie seit einigen Jahren unter der Leitung Klaus-Jürgen Bruders einschlägt. Was als sinnvolles Engagement angefangen hat, praktisch wirksam in politische Diskurse einzugreifen und die Beteiligung von Psycholog*innen an Programmen der Bundeswehr zu kritisieren, ist mittlerweile weitgehend in den verschwörungsideologischen Sumpf der Querfront eingegangen. Dies zeigt sich in verschiedenen Interviews, Kooperationen und Schriften zu innen- wie weltpolitischen Themen. Wo mit kritischen Theorien, je nach Ausrichtung, dem Wandel gesellschaftlicher Diskurslagen nachgegangen, aus strukturellen gesellschaftlichen Konfliktlagen herrührende ideologische Formationen oder reaktionäre Deutungsangebote für gesellschaftliche Krisen analysiert werden könnten, erblickt Bruder v.a. eine Manipulation des Volkes durch "die Politik" oder "die Medien". Die präsentierte Denkform liefert für weltpolitische Konflikte manichäische Erklärungen, bei denen alle Schuld den USA und Israel zugeschrieben wird. Während alles, was diesem Welterklärungsmuster zuwiderläuft, kurzerhand eben auf angebliche Indoktrinationen durch die Medien zurückgeführt wird, wird hingegen allein den Verschwörungstheorien obskurantistischer Internetportale wie www.rubikon.news oder www.nachdenkseiten.de vertraut. Insbesondere die letztgenannten liefern seit einiger Zeit einen Großteil des Inhalts auf der Homepage der NGfP.

Bei der Jahrestagung vom 5. bis zum 8. März 2015 führte Bruder den Keynote-Speaker Moshe Zuckermann sinngemäß mit den Worten ein, es sei so schwierig als Deutscher Israel zu kritisieren, weshalb man froh sei, nun einen Israeli zu haben, der dies für einen erledige. Zuckermann, der den Antisemitismusvorwurf regelmäßig als „Herrschaftsinstrument“ verharmlost und delegitimiert, blieb dieser Aufforderung nichts schuldig: Israel sei kein demokratischer Staat und inszeniere einen Krieg gegen seine Nachbarländer sowie die Hamas, um von seinen innerpolitischen Problemen abzulenken, weder die Hamas noch der Iran seien jemals eine Bedrohung für Israel gewesen und der Konflikt mit dem Iran werde genauso wie der Holocaust zu einem „kulturindustriellen Unterhaltungsprogramm“. Bruder selbst arbeitete sich in seinem prominent platzierten Vortrag an einem angeblichen Dokument ab, welches die Bundesregierung den Mitgliedern des Bundestags ausgegeben habe, um eine Parteinahme zugunsten Russlands im Zuge der Annexion der Krim zu verhindern. In einem Interview, welches Bruder anlässlich der Tagung Jens Wernecke – einem ‚Journalisten‘ der sich bereits als Stichwortgeber für den 9/11-Truther Daniele Ganser hergab – für teleopolis.com gab, wusste Bruder weiter zu berichten: „Welt- und andere Journalisten […] fühlen sich durch die Titulierung ihrer Arbeitgeber als ‚Lügenpresse‘ nun doch vor allem deswegen so getroffen, weil sie genau wissen, dass sie ebendies tun: die Bevölkerung belügen, an der Nase herumführen und sie für dumm verkaufen.“[1]

Am 6.3.2017 wurde ein Interview von Ken Jebsen mit Klaus-Jürgen Bruder auf Youtube veröffentlicht.[2] Jebsen begann seine zweite Karriere, nachdem die RBB sich von ihm als Radiomoderator trennte aufgrund eines Mailverkehrs mit dem Publizisten Henryk Broder, in welchem Jebsen angab, er wisse „wer den Holocaust als PR erfunden“ habe.[3],[4] Als Publizist trat Jebsen weiter u.a. im Umfeld des von Jürgen Elsässer herausgegebenen Compact-Magazins[5] in Erscheinung, wo er z.B. wiederholt nahelegt, die Anschläge vom 11. September 2001 seien von den USA selbst in Auftrag gegeben worden.[6] Besonders öffentlichkeitswirksam wurde die Arbeit Jebsens im Zuge der sogenannten Montagsmahnwachen für den Frieden.[7] Als ständiger Redner auf den Versammlungen und mit der Popularität seiner Videos kann Jebsen zu den ideologischen Führern der Querfront-Bewegung gezählt werden.
Im Interview ist Bruder mit Jebsen inhaltlich auf einer Linie: Putin habe die Krim nicht annektiert, sondern den „Ruf der Krim-Leute, sich assoziieren zu können, positiv beantwortet“ (9:30ff.), die NATO verschwöre sich zu einem „Blitzkrieg“ gegen Russland (10:30ff.) und bei der „Flugzeugtheorie“ der Anschläge vom 11. September 2001 seien noch viele Fragen offen (22:00ff.).

Mit der Beteiligung Bruders an Jens Werneckes Sammmelband „Lügen die Medien“ ist diesem zweifelhaften Engagement ein weiterer Höhepunkt beschieden. Zu Bruders Artikel konstatiert Matthias Holland-Letz für Neues Deutschland:

„Verstörend, wie viel Verständnis im Buch für die Parolen der Rechten zu finden ist: ‚Pegida ist keineswegs ein Haufen von Faschisten, sondern das folgelogische Ergebnis kriegstreibender Politik‘, meint der Psychologie-Professor Klaus-Jürgen Bruder. Dass sich die Zahl der Asylsuchenden erhöhe, so Bruder, sei schließlich die ‚natürliche Folge der Vervielfältigung der Kriege, an denen Deutschland […] beteiligt ist‘. Insofern sei ‚der Kampf gegen mehr Asylsuchende auch als rechte ›Kritik‹ an dieser Kriegspolitik zu deuten‘. Wer so denkt, braucht sich nicht zu wundern, wenn er sich dem Verdacht aussetzt, beim nächsten AfD-Marsch mitzulaufen und ‚Lügenpresse‘ zu grölen.“[8]


Als Wissenschaftler_innen, die z.T. als Referent_innen und/oder Zuhörer_innen mit viel Gewinn an den Tagungen der NGfP teilnahmen, für die die NGfP auch in ihrer kritisch-wissenschaftlichen Sozialisation eine wichtige Instanz war und die die NGfP als bedeutsame Institution wahrnahmen, welche es ermöglichte, dass die wenigen kritisch-psychologischen Kräfte im deutschsprachigen Raum in einen fruchtbaren Austausch treten konnten, finden wir den eingeschlagenen Weg höchst bedenklich.
Auf solidarische nicht-öffentlich geäußerte Kritik reagierten der Vorstand und die Tagungsorganisation der NGfP entweder grundsätzlich ablehnend oder gar nicht. Wir hoffen mit dieser Intervention einen internen Reflexionsprozess anzustoßen, sodass Verschwörungsideologien, friedenspolitisch verbrämter Antiamerikanismus und struktureller Antisemitismus hier keinen weiteren Nährboden finden können. 


Veröffentlicht am 14. Dezember 2017

Unterzeichner_innen:
Dipl. Psy. Simon Arnold
Dipl.-Soz. Philipp Berg, M.A. Soziale Arbeit, Hochschule Darmstadt
Alice Blum, M.A. Soziale Arbeit, Justus Liebig Universität Gießen
Alina Brehm, B.A. Soziologie, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt
Dr. Markus Brunner, Gesellschaft für psychoanalytische Sozialpsychologie, Sigmund Freud Privatuniversität Wien
Charlotte Busch, Bsc. Erziehungswissenschaften, Goethe Universität Frankfurt
Christoph Müller, M.Ed., Hannover/Doktorand HU Berlin
Lena Dierker, Psy. Msc.
Dr. des. Julia König, Johann Wolfgang Goethe-Universität
Elli Kaminer-Zamberk, Gruppenanalytikerin in eigener Praxis
Anike Krämer M.A., Ruhr-Universität Bochum, Mitorganisatorin der Tagung „Feministische und queere Perspektiven für die Psychologie“
Prof. Dr. Phil C. Langer, International Psychoanalytic University Berlin
Dr. Jan Lohl, Sigmund-Freud-Institut, Frankfurt a.M.
Prof. Dr. phil. Lisa Malich, Juniorprofessur Wissensgeschichte der Psychologie am Institut für Medizingeschichte und Wissenschaftsforschung der Universität zu Lübeck.
Matthias Monecke, B.A. Sozialwissenschaften, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt
Dipl. Psy. Janek Niggemann, Alice Salomon Hochschule
Dr. des. Katharina Rhein, Forschungsstelle NS-Pädagoggik/Bildungsstätte Anne Frank
Dr. med. Joram Ronel, Oberarzt an der Klinik für psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Klinikum rechts der Isar
Dr. Nora Ruck, Sigmund Freud Privatuniversität Wien, Mitorganisatorin der Tagung „Feministische und queere Perspektiven für die Psychologie“
Dr. des. Julia Scholz, Universität zu Köln, Mitorganisatorin der Tagung „Feministische und queere Perspektiven für die Psychologie“
Marc Schwietring M.A., Arbeitsgemeinschaft Politische Psychologie, Promovend an der Justus-Liebig-Universität Gießen
Daniel Sanin, Initiative Kritische Psychologie
Tamara Schwertel, B. A. Soziologie, Gesellschaft für psychoanalytische Sozialpsychologie
Dr. Anna Sieben, Ruhr-Universität Bochum, Mitorganisatorin der Tagung „Feministische und queere Perspektiven für die Psychologie“
Tom Uhlig, MSc-Psy., AK kritische Psychologie Frankfurt, Bildungsstätte Anne Frank. 
Prof. Dr. Klaus Weber, Hochschule München für Angewandte Wissenschaften
Dr. Sebastian Winter, AG Politische Psychologie, 2016/17 Interdisziplinärer Gastprofessor für kritische Gesellschaftstheorie an der Justus-Liebig-Universität Gießen
Hauke Witzel, M.A. Soziale Arbeit

Unterstützende Gruppierungen/Institutionen:
AG Politische Psychologie
AK kritische Psychologie Frankfurt
AG kritische Sozialpsychologie
Gesellschaft für psychoanalytische Sozialpsychologie
Initiative Kritische Psychologie



[1] https://www.heise.de/tp/features/Krieg-um-die-Koepfe-3369908.html (10.10.17)
[2] https://www.youtube.com/watch?v=KsVw14-MTmc
[3] Vgl. http://www.tagesspiegel.de/medien/holocaust-pr-antisemitismusvorwurf-gegen-fritz-moderator-ken-jebsen/5809294.html (10.10.2017).
[4] Jebsen klagte gegen die Qualifizierung dieser Aussage als antisemitisch durch die taz, verlor den Prozess jedoch auch in der Revision im Oberlandesgericht. Das Gericht urteilte, die Aussage Jebsens könne als antisemitisch bezeichnet werden. Vgl. http://blogs.taz.de/hausblog/2016/11/11/taz-gewinnt-gegen-ken-jebsen/ (10.10.2017).
[5] Zu antisemitischen Inhalten im Compact-Magazin vgl. Culina und Fedders (2016). Im Feindbild vereint. Zur Relevanz des Antisemitismus in der Querfront-Zeitschrift Compact. Edition assemblage.
[6] Vgl. https://tv.compact-online.de/compact-live-faktencheck-911-mit-paul-schreyer-und-ken-jebsen/ (10.10.2017).
[7] Zur ideologischen Einschätzung der Montagsmahnwachen vgl. die Einschätzung der bpb, welche eine Nähe zu den rechtsextremen „Reichsbürgern“ feststellt:
http://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/210330/zwischen-verschwoerungsmythen-esoterik-und-holocaustleugnung-die-reichsideologie (10.10.2017)
[8] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1065629.dunkle-maechte-am-ruder.html (10.10.2017)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen