Offener Brief an die
Neue Gesellschaft für Psychologie
Die Neue Gesellschaft für Psychologie (NGfP) war lange
Zeit eine wichtige Institution nonkonformistischer Psycholog*innen
unterschiedlicher fachlicher Ausrichtung. Unter ihrem Dach konnten sich
Akademiker*innen wie Praktiker*innen sinnvoll über postmoderne Psychologien,
die Berliner Schule der Kritischen Psychologie, psychoanalytische
Sozialpsychologie oder politische und feministische Psychologien austauschen,
wobei die Jahrestagungen als diverses Diskussionsforum die Vielfalt dieser
Richtungen abgebildet haben.
Eine solche Institution war und ist in der
deutschsprachigen Psychologielandschaft einmalig und umso betrüblicher ist ihr
Weg, den sie seit einigen Jahren unter der Leitung Klaus-Jürgen Bruders
einschlägt. Was als sinnvolles Engagement angefangen hat, praktisch wirksam in
politische Diskurse einzugreifen und die Beteiligung von Psycholog*innen an
Programmen der Bundeswehr zu kritisieren, ist mittlerweile weitgehend in den
verschwörungsideologischen Sumpf der Querfront eingegangen. Dies zeigt sich in
verschiedenen Interviews, Kooperationen und Schriften zu innen- wie
weltpolitischen Themen. Wo mit kritischen Theorien, je nach Ausrichtung, dem
Wandel gesellschaftlicher Diskurslagen nachgegangen, aus strukturellen
gesellschaftlichen Konfliktlagen herrührende ideologische Formationen oder reaktionäre
Deutungsangebote für gesellschaftliche Krisen analysiert werden könnten,
erblickt Bruder v.a. eine Manipulation des Volkes durch "die Politik"
oder "die Medien". Die präsentierte Denkform liefert für
weltpolitische Konflikte manichäische Erklärungen, bei denen alle Schuld den
USA und Israel zugeschrieben wird. Während alles, was diesem
Welterklärungsmuster zuwiderläuft, kurzerhand eben auf angebliche Indoktrinationen
durch die Medien zurückgeführt wird, wird hingegen allein den
Verschwörungstheorien obskurantistischer Internetportale wie www.rubikon.news
oder www.nachdenkseiten.de vertraut. Insbesondere die letztgenannten liefern
seit einiger Zeit einen Großteil des Inhalts auf der Homepage der NGfP.
Bei der Jahrestagung vom 5. bis zum 8. März 2015 führte
Bruder den Keynote-Speaker Moshe Zuckermann sinngemäß mit den Worten ein, es
sei so schwierig als Deutscher Israel zu kritisieren, weshalb man froh sei, nun
einen Israeli zu haben, der dies für einen erledige. Zuckermann, der den
Antisemitismusvorwurf regelmäßig als „Herrschaftsinstrument“ verharmlost und
delegitimiert, blieb dieser Aufforderung nichts schuldig: Israel sei kein
demokratischer Staat und inszeniere einen Krieg gegen seine Nachbarländer sowie
die Hamas, um von seinen innerpolitischen Problemen abzulenken, weder die Hamas
noch der Iran seien jemals eine Bedrohung für Israel gewesen und der Konflikt
mit dem Iran werde genauso wie der Holocaust zu einem „kulturindustriellen
Unterhaltungsprogramm“. Bruder selbst arbeitete sich in seinem prominent
platzierten Vortrag an einem angeblichen Dokument ab, welches die
Bundesregierung den Mitgliedern des Bundestags ausgegeben habe, um eine
Parteinahme zugunsten Russlands im Zuge der Annexion der Krim zu verhindern. In
einem Interview, welches Bruder anlässlich der Tagung Jens Wernecke – einem
‚Journalisten‘ der sich bereits als Stichwortgeber für den 9/11-Truther Daniele
Ganser hergab – für teleopolis.com gab, wusste Bruder weiter zu berichten:
„Welt- und andere Journalisten […] fühlen sich durch die Titulierung ihrer
Arbeitgeber als ‚Lügenpresse‘ nun doch vor allem deswegen so getroffen, weil
sie genau wissen, dass sie ebendies tun: die Bevölkerung belügen, an der Nase
herumführen und sie für dumm verkaufen.“[1]
Am 6.3.2017 wurde ein Interview von Ken Jebsen mit
Klaus-Jürgen Bruder auf Youtube veröffentlicht.[2] Jebsen begann seine zweite
Karriere, nachdem die RBB sich von
ihm als Radiomoderator trennte aufgrund eines Mailverkehrs mit dem Publizisten
Henryk Broder, in welchem Jebsen angab, er wisse „wer den Holocaust als PR
erfunden“ habe.[3],[4] Als Publizist trat
Jebsen weiter u.a. im Umfeld des von Jürgen Elsässer herausgegebenen Compact-Magazins[5] in Erscheinung, wo er z.B. wiederholt nahelegt, die Anschläge vom
11. September 2001 seien von den USA selbst in Auftrag gegeben worden.[6] Besonders öffentlichkeitswirksam
wurde die Arbeit Jebsens im Zuge der sogenannten Montagsmahnwachen für den Frieden.[7] Als ständiger Redner auf
den Versammlungen und mit der Popularität seiner Videos kann Jebsen zu den
ideologischen Führern der Querfront-Bewegung gezählt werden.
Im Interview ist Bruder mit Jebsen inhaltlich auf
einer Linie: Putin habe die Krim nicht annektiert, sondern den „Ruf der
Krim-Leute, sich assoziieren zu können, positiv beantwortet“ (9:30ff.), die
NATO verschwöre sich zu einem „Blitzkrieg“ gegen Russland (10:30ff.) und bei
der „Flugzeugtheorie“ der Anschläge vom 11. September 2001 seien noch viele
Fragen offen (22:00ff.).
Mit
der Beteiligung Bruders an Jens Werneckes Sammmelband „Lügen die Medien“ ist
diesem zweifelhaften Engagement ein weiterer Höhepunkt beschieden. Zu Bruders
Artikel konstatiert Matthias Holland-Letz für Neues Deutschland:
„Verstörend,
wie viel Verständnis im Buch für die Parolen der Rechten zu finden ist: ‚Pegida
ist keineswegs ein Haufen von Faschisten, sondern das folgelogische Ergebnis
kriegstreibender Politik‘, meint der Psychologie-Professor Klaus-Jürgen Bruder.
Dass sich die Zahl der Asylsuchenden erhöhe, so Bruder, sei schließlich die
‚natürliche Folge der Vervielfältigung der Kriege, an denen Deutschland […]
beteiligt ist‘. Insofern sei ‚der Kampf gegen mehr Asylsuchende auch als rechte
›Kritik‹ an dieser Kriegspolitik zu deuten‘. Wer so denkt, braucht sich nicht
zu wundern, wenn er sich dem Verdacht aussetzt, beim nächsten AfD-Marsch
mitzulaufen und ‚Lügenpresse‘ zu grölen.“[8]
Als Wissenschaftler_innen, die z.T. als Referent_innen
und/oder Zuhörer_innen mit viel Gewinn an den Tagungen der NGfP teilnahmen, für
die die NGfP auch in ihrer kritisch-wissenschaftlichen Sozialisation eine
wichtige Instanz war und die die NGfP als bedeutsame Institution wahrnahmen,
welche es ermöglichte, dass die wenigen kritisch-psychologischen Kräfte im
deutschsprachigen Raum in einen fruchtbaren Austausch treten konnten, finden
wir den eingeschlagenen Weg höchst bedenklich.
Auf solidarische nicht-öffentlich geäußerte Kritik
reagierten der Vorstand und die Tagungsorganisation der NGfP entweder
grundsätzlich ablehnend oder gar nicht. Wir hoffen mit dieser Intervention
einen internen Reflexionsprozess anzustoßen, sodass Verschwörungsideologien,
friedenspolitisch verbrämter Antiamerikanismus und struktureller Antisemitismus
hier keinen weiteren Nährboden finden können.
Veröffentlicht am 14. Dezember 2017
Unterzeichner_innen:
Dipl.
Psy. Simon Arnold
Dipl.-Soz.
Philipp Berg, M.A. Soziale Arbeit, Hochschule Darmstadt
Alice
Blum, M.A. Soziale Arbeit, Justus Liebig Universität Gießen
Alina
Brehm, B.A. Soziologie, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt
Dr.
Markus Brunner, Gesellschaft für psychoanalytische Sozialpsychologie, Sigmund
Freud Privatuniversität Wien
Charlotte
Busch, Bsc. Erziehungswissenschaften, Goethe Universität Frankfurt
Christoph
Müller, M.Ed., Hannover/Doktorand HU Berlin
Lena
Dierker, Psy. Msc.
Dr.
des. Julia König, Johann Wolfgang Goethe-Universität
Elli
Kaminer-Zamberk, Gruppenanalytikerin in eigener Praxis
Anike
Krämer M.A., Ruhr-Universität Bochum, Mitorganisatorin der Tagung
„Feministische und queere Perspektiven für die Psychologie“
Prof.
Dr. Phil C. Langer, International Psychoanalytic University Berlin
Dr.
Jan Lohl, Sigmund-Freud-Institut, Frankfurt a.M.
Prof.
Dr. phil. Lisa Malich, Juniorprofessur Wissensgeschichte der Psychologie am Institut
für Medizingeschichte und Wissenschaftsforschung der Universität zu Lübeck.
Matthias
Monecke, B.A. Sozialwissenschaften, Johann Wolfgang Goethe-Universität
Frankfurt
Dipl.
Psy. Janek Niggemann, Alice Salomon Hochschule
Dr.
des. Katharina Rhein, Forschungsstelle NS-Pädagoggik/Bildungsstätte Anne Frank
Dr.
med. Joram Ronel, Oberarzt an der Klinik für psychosomatische Medizin und
Psychotherapie am Klinikum rechts der Isar
Dr.
Nora Ruck, Sigmund Freud Privatuniversität Wien, Mitorganisatorin der Tagung
„Feministische und queere Perspektiven für die Psychologie“
Dr.
des. Julia Scholz, Universität zu Köln, Mitorganisatorin der Tagung
„Feministische und queere Perspektiven für die Psychologie“
Marc
Schwietring M.A., Arbeitsgemeinschaft Politische Psychologie, Promovend an der
Justus-Liebig-Universität Gießen
Daniel
Sanin, Initiative Kritische Psychologie
Tamara
Schwertel, B. A. Soziologie, Gesellschaft für psychoanalytische
Sozialpsychologie
Dr.
Anna Sieben, Ruhr-Universität Bochum, Mitorganisatorin der Tagung
„Feministische und queere Perspektiven für die Psychologie“
Tom
Uhlig, MSc-Psy., AK kritische Psychologie Frankfurt, Bildungsstätte Anne
Frank.
Prof.
Dr. Klaus Weber, Hochschule München für Angewandte Wissenschaften
Dr.
Sebastian Winter, AG Politische Psychologie, 2016/17 Interdisziplinärer
Gastprofessor für kritische Gesellschaftstheorie an der Justus-Liebig-Universität
Gießen
Hauke
Witzel, M.A. Soziale Arbeit
Unterstützende Gruppierungen/Institutionen:
AG Politische Psychologie
AK kritische Psychologie Frankfurt
AG kritische Sozialpsychologie
Gesellschaft für psychoanalytische Sozialpsychologie
Initiative Kritische Psychologie
[1]
https://www.heise.de/tp/features/Krieg-um-die-Koepfe-3369908.html (10.10.17)
[2]
https://www.youtube.com/watch?v=KsVw14-MTmc
[3] Vgl.
http://www.tagesspiegel.de/medien/holocaust-pr-antisemitismusvorwurf-gegen-fritz-moderator-ken-jebsen/5809294.html
(10.10.2017).
[4] Jebsen klagte gegen die Qualifizierung
dieser Aussage als antisemitisch durch die taz,
verlor den Prozess jedoch auch in der Revision im Oberlandesgericht. Das
Gericht urteilte, die Aussage Jebsens könne als antisemitisch bezeichnet
werden. Vgl. http://blogs.taz.de/hausblog/2016/11/11/taz-gewinnt-gegen-ken-jebsen/
(10.10.2017).
[5] Zu antisemitischen Inhalten im Compact-Magazin vgl. Culina und Fedders
(2016). Im Feindbild vereint. Zur
Relevanz des Antisemitismus in der Querfront-Zeitschrift Compact. Edition
assemblage.
[6] Vgl. https://tv.compact-online.de/compact-live-faktencheck-911-mit-paul-schreyer-und-ken-jebsen/
(10.10.2017).
[7] Zur ideologischen Einschätzung der
Montagsmahnwachen vgl. die Einschätzung der bpb,
welche eine Nähe zu den rechtsextremen „Reichsbürgern“ feststellt:
http://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/210330/zwischen-verschwoerungsmythen-esoterik-und-holocaustleugnung-die-reichsideologie
(10.10.2017)
[8]
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1065629.dunkle-maechte-am-ruder.html
(10.10.2017)
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