| Die Analyse gesellschaftlicher Macht- und Herrschaftsverhältnisse und die alltäglichen konkreten Probleme von Praktiker_innen psychosozialen Feld scheinen auf den ersten Blick schwer vereinbar zu sein, besonders im Hinblick auf die Möglichkeiten kritischer Veränderung. Zunächst haben wir es in der Praxis mit konkreten intra- und intersubjektiven Problemlagen zu tun, die nach oftmals schneller „Lösung" verlangen. Die gesellschaftlichen Strukturen präsentieren sich als gegebene Rahmenbedingungen, deren Miteinbeziehung in eine Lösung oft als das Problem verstärkend oder schlicht als Überforderung empfunden wird. Dazu kommt, dass die subjektiven Ursachenzuschreibungen für das eigene Leiden von Klient_innen häufig wenig Ansatzpunkte für die Thematisierung gesellschaftlicher Zusammenhänge zu bieten scheinen. Daraus ergibt sich für kritische Arbeit in der Praxis eine zumindest doppelte Anforderung: auf der einen Seite der Handlungsdruck, der mit dem subjektiven Leiden der Betroffenen einhergeht, auf der anderen Seite gesellschaftliche Strukturen und institutionelle Bedingungen , über die allem Anschein nach nicht verfügt werden kann. Angesichts dessen sind häufig zwei Arten von (bedingten) Lösungsansätzen zu beobachten: Erstens ein dogmatisches Beharren auf kritischer Intervention, wobei häufig der Bezug zu denjenigen, deren Leid im Zentrum stehen sollte, verloren geht. Häufig führt dies zu einem Rückzug aus eben jenen Praxisfeldern, die der kritischen Intervention am meisten bedürfen. Zweitens wird die oben erwähnte doppelte Anforderung oftmals durch Spaltungsprozesse bearbeitet. Die praktische Arbeit steht dann unvermittelt neben dem kritischen Theoretisieren, welches scheinbar mit der täglichen Arbeit nicht vereinbar ist. Gerade deshalb ist eine kritische psychosoziale Praxis, die auch die Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse im Blick hat, notwendig, weil das Leiden selbst immer ein gesellschaftliches ist. Ungeachtet der Schwierigkeiten und Widerstände, mit denen kritisches Handeln und Denken zu kämpfen hat, werden tagtäglich theoretisch-praktische Antworten auf die eingangs dargestellte Problematik gesucht und entworfen. Vor diesem Hintergrund wollen wir uns in dieser Tagung den vielfältigen Berührungspunkten und dem Spannungsverhältnis zwischen Gesellschaftstheorie und kritischer Praxis widmen. Wir wollen darauf hinweisen, dass wir den Begriff Praxis hier dezidiert weit verstehen wollen: Willkommen sind uns daher Überlegungen zu klinischen und psychosozialen Praxis, zur Forschungs- und Lehrpraxis, zur politischen und Alltagspraxis. Wir laden Praktiker_innen und/oder Theoretiker_innen aus den verschiedensten psychologischen und psychosozialen Berufsfeldern ein, Beiträge zu diesem Themenfeld zu senden. Praxisberichte sind ebenso willkommen wie theoretische Reflexionen und gemäß der Zielsetzung der Tagung sind natürlich insbesondere Beiträge erwünscht, die beides sind: Praxiserfahrung und theoretische Auseinandersetzung. Folgende Fragen könnten dabei im Zentrum stehen: - Wie stellt sich das Verhältnis zwischen gesellschaftskritischer Theorie und Praxis konkret dar?
- Was passiert genau, wo gesellschaftskritisches Denken in die Praxis eingebracht wird oder aus ihr entsteht?
- Welche (innerpsychischen, intersubjektiven, institutionellen, theoriespezifischen, …) Widerstände und Zwänge setzen sich in welcher Form der Vermittlung von Theorie und Praxis entgegen, wie wirken sich diese auf die Praxisperspektiven aus und wie kann mit ihnen besser umgegangen werden?
- Wie können welche Handlungsspielräume ausgelotet und eröffnet werden und wie gehen Praktiker_innen dabei vor?
- Wie beeinflusst die eigene Position und Situiertheit im Praxisfeld die Vermittlungsmöglichkeiten zwischen Theorie und Praxis?
Solchen und ähnlichen Fragen zum Spannungsfeld zwischen (Gesellschafts-)Theorie und Praxis möchten wir im Rahmen der Tagung ›Kritisch Denken ↔ kritisch Handeln‹ gemeinsam nachgehen. Vorgesehen sind 30-minütige Vorträge mit 45-minütiger Diskussionszeit. Wir laden all jene Praktiker_innen und Theoretiker_innen aus dem psychosozialen Feld, die sich durch die Themenstellung der Tagung angesprochen fühlen, herzlich dazu ein, bis 30. April 2013 Themenskizzen von ca. 200 – 300 Wörtern an kritisch.handeln sfu.ac.at zu schicken. |
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